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Umbenennungen von Straßennamen in Ulm

Michael Wettengel (Stadtarchiv Ulm), Stadthaus Ulm, 21.11.2017

Die erste große Umbenennung von Straßennamen in Ulm erfolgte im Zuge einer grundlegenden Umstellung: Bis in die 1860er Jahre war die Stadt in die vier Viertel A, B, C und D eingeteilt und darin wurden jeweils alle Gebäude durchnummeriert. Dieses System funktionierte so lange, bis die städtische Bebauung um die Mitte des 19. Jahrhunderts ihre alte Begrenzung aufgrund des dynamisch verlaufenden Wachstums der Stadt überschritt. 1864 entschied der Gemeinderat erstmals, für diese neue Bebauung nördlich des alten Stadtmauerverlaufs Straßennamen und diesen zugeordnete Hausnummern zu vergeben. Vier Straßen in der Neustadt erhielten dabei Namen nach Personen, die mit dieser Namensnennung auf einem Straßenschild besonders gewürdigt werden sollten – das war bis dahin neu in Ulm:

  • die Karlstraße, zu Ehren des württembergischen Königs,
  • die Olgastraße zu Ehren der Königin,
  • die Syrlinstraße in Erinnerung an den berühmten Ulmer Bildhauer Jörg Syrlin d. Ä
  • und schließlich die Keplerstraße in Erinnerung an den noch berühmten Astronomen, der eine Zeitlang in Ulm gewirkt hatte.

1893 entschied der Gemeinderat dann, die bisherigen, nach Stadtvierteln in der Ulmer Altstadt eingeteilten Litera-Bezeichnungen mit fortlaufender Nummer in Anschriften aus Straßenbezeichnungen und Hausnummern zu ändern. Somit wurde beispielsweise aus der bisherigen Litera-Nummer A 115 für das Schwörhaus die postalische Anschrift Weinhof 12.

Mit der Würdigung von Personen durch Straßennamen setzte bald auch der politische Streit um Straßenschilder ein. Der erste bekannte Fall war die Benennung einer Straße nach dem berühmten, in Ulm geborenen Physiker Albert Einstein im Jahr 1922. Im Gemeinderat geiferte der rechtsnationalistische Stadtrat Otto Kirchgeorg schon damals gegen eine Einsteinstraße und verstieg sich zu der Aussage, „die wissenschaftliche Bedeutung Einsteins [sei] noch sehr bestritten“ – bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass Einstein wenig später den Nobelpreis verliehen bekam. Zur Ehre des Ulmer Gemeinderats sei erwähnt, dass sich Kirchgeorg nicht durchsetzen konnte, auch nicht, als er ein Jahr später die Benennung einer Straße nach dem von der französischen Besatzungsmacht bei Düsseldorf erschossenen nationalsozialistischen Freikorpskämpfer Albert Schlageter forderte. Auch in weiteren Fällen kam es zum Streit um Straßennamen, so etwa bei der „Friedrich-Ebert-Straße“, die nicht wie geplant realisiert werden konnte. Erst nach der Umbenennung des Blaurings in „Hindenburgring“ wurde „die neu erstellte Durchgangsstraße der Promenade vom Russischen Hof bis zur Einmündung in die Glöcklerstraße mit dem Namen ,Friedrich Ebertstraße‘ belegt“. In den Jahren der Weimarer Republik wurde somit die Benennung von Straßen zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen, die vor allem von Vertretern der extremen Rechten mit besonderer Heftigkeit geführt wurden.

Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten, kam es zu der ersten großangelegten Aktion von politisch motivierten Straßenumbenennungen und zu einer Instrumentalisierung und Politisierung von Straßennamen. So wurden bereits am 20. März 1933 – und damit nur wenige Tage nach der erzwungenen Absetzung des bisherigen Oberbürgermeisters Emil Schwammberger – die „Friedrich-Ebert-Straße“ wieder in „Münchner Straße“ rückbenannt und die „Einsteinstraße“ in „Fichtestraße“ umbenannt. Erstmals wurden damit auch durch Straßenumbenennungen bislang geehrte Personen aus politischen bzw. rassistischen Motiven herabgewürdigt.

Im gleichen Zug wurden Funktionsträger und Propagandafiguren des nationalsozialistischen Regimes durch Straßenbenennungen auch in Ulm geehrt. Schon am 20. März 1933 erhielt die bisherige „Promenade“ die Bezeichnung „Adolf-Hitler-Straße“. Am 15. Mai 1933 wurden der bisherige „Westplatz“ und die „Bahnhofstraße“ nach den Protagonisten der NS-Bewegung in „Schlageterplatz“ bzw. in „Horst-Wessel-Straße“ umbenannt, 1938 die „Gideon-Bacher-Straße“ in „Ritter-von-Schönerer-Straße“. 1937 wurde die „Adolf-Hitler-Straße“ unter Hinzunahme der bisherigen „Olgastraße“ zum „Adolf-Hitler-Ring“ erweitert, die bisherige „Römerstraße“ in „Hermann-Göring-Straße“ und die bisherige „Karlstraße“ nach dem württembergischen NS-Reichsstatthalter in „Wilhelm-Murr-Straße“ umbenannt. Auch politische Ansprüche wurden durch Straßenbenennungen propagiert: Ende 1933 erhielt der bislang namenlose Platz zwischen Olga-, Münchner- und König-Wilhelm-Straße die Bezeichnung „Danziger Freiheit“ und 1935 wurde der bisherige Straßenname „Am Grimmelfinger Weg“ im Kontext der Volksabstimmung an der Saar zur „Saarlandstraße“ umbenannt. Hinweise auf das Judentum wurden in Straßennamen getilgt, so erfolgte 1938 die Umbenennungen des bisherigen „Judenhofs“ in „Golschenhof“ und der Söflinger „Judengasse“ in „Enderlegasse“.

Bereits wenige Monate nach der Kapitulation des Deutschen Reiches erhielten die von den Nationalsozialisten umbenannten Straßen ihre vorigen Bezeichnungen zurück, verkündet durch das Amtsblatt der Stadt Ulm und des Landkreises Ulm, Nr. 7 vom 25. Juli 1945. Den historischen Kontext bildete dabei die Entnazifizierung durch die amerikanische Militärregierung, wobei die deutschen Verwaltungen durchaus auch eigenständig tätig wurden. Ausnahmen von der Rückbenennung bildeten die Söflinger „Judengasse“, die weiterhin „Enderlegasse“ hieß, und die „Münchner Straße“ sowie die „Saarlandstraße“ behielten ebenfalls ihre Namen. Der Platz der „Danziger Freiheit“ wurde erneut namenlos und 1956 zum „Berliner Platz“ umgetauft. Da der „Adolf-Hitler-Ring“ zunächst 1945 vollständig in „Olgastraße“ umbenannt worden war, begann diese vorübergehend bereits an der „Wilhelmshöhe“, was durch die 1950 erfolgte Restituierung der „Promenade“ und die erstmalige Benennung des folgenden Straßenabschnitts bis zum Bahnhof in „Friedrich-Ebert-Straße“ korrigiert wurde.

Nach der Rückbenennung von 1945 und der Tilgung nationalsozialistischer Benennungen ist die Stadt Ulm seither bei der politisch motivierten Umbenennung von Straßennamen zurückhaltend vorgegangen. Über die Jahre hinweg hatte es immer wieder Initiativen aus der Bürgerschaft und Anträge einzelner Gemeinderatsfraktionen gegeben, so beispielsweise Anträge der SPD von 1988 zur Umbenennung des „Nüblingwegs“, weil Eugen Nübling im Kaiserreich ein antisemitischer Publizist und Politiker war, sowie der SPD von 2009, der Linken von 2010 und der Grünen von 2012 und 2016 nach Umbenennung des „Hindenburgrings“. Diese Anträge kamen bislang nicht zur Realisierung.

Im Jahr 2009 erfolgte dann auf Antrag der SPD-Gemeinderatsfraktion die Umbenennung des Otto-Elsässer-Wegs am Roten Berg, der seither „Willy-Eckstein-Weg“ heißt. Die erfolgreiche Umbenennung war das Ergebnis der Forschungen und der Initiative des Historikers Dr. Walter Wuttke. Er belegte, dass Otto Elsässer in seiner Funktion als städtischer Kämmerer und Vertreter des Oberbürgermeisters in der Zeit des Nationalsozialismus maßgeblich verantwortlich war für die Verfolgung von Ulmer Juden durch Kündigung ihrer Mietverträge, die Enteignung ihres Grundbesitzes, ihre Ghettoisierung in sogenannten „Judenhäusern“ in der Stadt und schließlich auch die unmittelbare Vorbereitung ihrer Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager.