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Ulmer Geld

Ein alter Tonkrug mit Ulmer Gulden

Zu den Ulmer Souvenirs der Extra-Klasse zählt eine viereckige Silbermünze, der „Ulmer Gulden“. Untrennbar mit ihm verknüpft ist der beliebte Spruch vom Ulmer Geld, das die Welt regiert. Diese Kombination von Vierecksmünze und Sprichwort darf man als einen geradezu tragischen Irrtum bezeichnen. Der „Ulmer Gulden“ ist nämlich eine Münze, welche die Stadt im Jahr 1704 in größter Not aus dem Gold und Silber ihrer Bürger geprägt hat, um damit französische Besatzungstruppen ruhig zu halten. Die hatten damals die Stadt okkupiert. Das war im Spanischen Erbfolgekrieg (1701 bis 1714), in dessen Verlauf Ulm zunächst zwei Jahre lang von den Bayern und dann von den mit diesen verbündeten Franzosen besetzt war. Am 10. April 1704 forderte der Oberbefehlshaber Marquis de Blainville von der Stadt 265 106 Gulden Kontributionen. Sieben Tage später stellte er eine Nachforderung in Höhe von 150 000 Gulden, die bis zum 25. April zu erfüllen war. Diesem Ultimatum verlieh er Nachdruck, indem er der Bürgerschaft eine „militarische scharffe Execution“ androhte. Im Klartext: Bei Nichtbezahlung sollte Ulm geplündert und bis auf die Grundmauern verbrannt werden.

 

Die Ulmer – respektive die Ulmerinnen – mussten also ihre Truhen und Schatullen plündern und sich von ihrem Tafelsilber und vom Familienschmuck trennen. Im städtischen Zeughaus, in dem damals die Münzstätte untergebracht war, wurden in aller Eile jene viereckigen „Klippen“ geprägt, deren Form ihren Charakter als Notgeld unterstrich. Die Quadratur der Münze war übrigens keineswegs eine Ulmer Erfindung; Klippen wurden in belagerten Städten aus eingeschmolzenem Schmuck und Silbergeschirr geprägt, um damit die Soldaten entlohnen zu können. Ihre Bezeichnung geht auf das schwedische Wort „klippa“ zurück, und das bedeutet „(mit der Schere) schneiden“. Die Not, welche Stadt und Bewohner damals litten, fand ihren Ausdruck in den Worten, die sie in den „Ulmer Gulden“ pressten: Da pacem nobis, domine – Herr, gib uns Frieden. Dieser Gulden ist somit ungeeignet, den Reichtum der Reichsstadt zu symbolisieren – im Gegenteil: Er kennzeichnet dessen endgültiges Ende, denn Ulm hat sich von den Folgen des Spanischen Erbfolgekrieges bis zum Ende der Reichsstadtzeit 1802 nicht mehr erholt.

Die  Redensart vom Ulmer Geld, das die Welt regiert, muss also älter sein als der Vierecks-Gulden. Das ist sie in der Tat, und sie ist in dieser Form unvollständig. Sie bildet das Ende eines Gedichtes, das um das Jahr 1500 entstanden sein dürfte und das in mehreren Varianten überliefert ist. Doch nur eine der Versionen lässt das Ulmer Geld die Welt regieren. In den anderen bezwingt es die Welt, ist es berühmt in aller Welt, behält es den Preis in der ganzen Welt oder preiset es alle Welt. Und nie steht das Ulmer Geld alleine. Das ganze Gedicht lautet:

Venediger Macht,
Augsburger Pracht,
Nürnberger Witz,
Straßburger Geschütz,
Ulmer Geld
regiert die Welt.

Natürlich müsste es heißen regieren die Welt, denn immerhin sind es fünf Komponenten, von welchen, diesen Reimen zufolge, der Globus wenn nicht gar der Kosmos umgetrieben wird. Doch diese besserwisserische Feststellung beantwortet nicht die Frage, warum ausgerechnet das Ulmer Geld die Welt beherrscht haben soll. Schließlich beruhte die Augsburger Pracht auf einem soliden Finanzpolster, das mindestens so dick – wenn nicht noch dicker – war als das der Ulmer. Und den Nürnbergern trug ihr Witz, wenn man diesen als kreativen Geschäftssinn deutet, die entsprechenden goldenen Früchte ein.

Ulm war also keineswegs die reichste unter den Reichsstädten, weshalb sich schon mancher gefragt hat, was der unbekannte Autor des Gedichtes mit seiner Bemerkung über das Ulmer Geld dem Publikum hat mitteilen wollen.

Eine naheliegende Antwort war, dass mit „Ulmer Geld“ das in Ulm geprägte Geld gemeint sein sollte. Denn solches – eine moneta ulmensis – ist bereits aus dem 11. Jahrhundert verbürgt: Im Jahr 1089 wechselte in Derendingen bei Tübingen ein Pferd für den Gegenwert von triginta siclos monetae ulmensis, also 30 Schillingen Ulmer Geldes, den Besitzer.

Ulm war königliche Münzstätte und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch der Ort, wo während des ganzen 11. bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts eine schwäbische Münzsorte geprägt wurde, die bis über die Elbe und bis nach Skandinavien verbreitet war. Jene Münze trägt auf der Rückseite ein Kreuz, dessen vier Winkeln mit jeweils einer Kugel gefüllt sind.

Dieses Symbol, das sich schon in den Jahrhunderten zuvor auf königlichen Münzen bewährt hatte, hängt übrigens jedes Jahr in der Schwörwoche aus einem der Rathausfenster, zusammen mit weiteren Wappen von Ulmer Patriziern und Kaufleuten. Es ist das Zeichen der Patrizierfamilie Lieber, die vom 15. bis zum 17. Jahrhundert in Ulm lebte. Stammten die Liebers von einem Münzmeister ab, der solche Münzen geschlagen hatte? Heraldiker vermuten dies.

Die Vorderseite hingegen zeugt von der Schlauheit jener, die diese Münze gestaltet haben. Sie zeigt um ein kästchenförmiges Gebäude herum Striche anstatt der üblichen Buchstaben, die den Namen eines Herrschers bezeichneten. Damit waren diese Münzen „politisch neutral“, was ihnen in dieser Zeit beständiger Machtkämpfe zwischen Königen und fürstlicher Opposition eine gewisse Dauerhaftigkeit bescherte.

Eine hohe Verbreitung fanden die in Ulm fabrizierten „Brakteaten“. Das waren dünne, einseitig geprägte mittelalterliche Silbermünzen. Doch kurz, nachdem in Person des in diversen Urkunden genannten Werinherus monetarius erstmals der Name eines Ulmer Münzmeisters überliefert wurde, erlagen die Ulmer Brakteaten der wachsenden Bedeutung des Hellers. Der wurde, wie sein Name verrät, zunächst in Schwäbisch Hall hergestellt. Diesen Bedeutungsschwund des Ulmer Geldes hat ein unbekannter Sparer dokumentiert, der gegen Ende des 13. Jahrhunderts in Eggingen – heute ein Ortsteil von Ulm – seinen Spartopf vergraben hatte. Als der Schatz 1933 wieder zutage gefördert wurde, enthielt er 4107 Heller, aber gerade mal 149 Ulmer Brakteaten - das sind 3,6 Prozent!

Doch bald danach gab es neben dem Haller Heller auch den Ulmer, den Nürnberger und den Frankfurter Heller. Denn als Kaiser Karl IV. anno 1356 das deutsche Münzwesen neu ordnete, bestimmte er diese vier Städte zum Standort seiner Reichshellermünzstätten. Die Ulmer ging am 6. Januar 1398 durch ein Privileg König Wenzels in Eigentum der Stadt über. Das heißt, das erste Geld, das Ulm in Eigenregie produzierte, waren nicht „Ulmer“, sondern „Heller“. Sechs Jahre später, 1404, erhielt Ulm auch das Recht, Schillinge in Umlauf zu bringen.

Der erste Ulmer Gulden wurde im Jahr 1572 geprägt – allerdings nicht in Ulm, sondern in Augsburg. Erst 1616 beschloss der Rat, sein Geld wieder innerhalb der eigenen Stadtmauern zu herzustellen. Nachdem die dafür nötigen Gerätschaften in Augsburg gekauft waren, verließ 1620 der erste Ulmer Reichstaler die neue Münzstätte am Fuß des Weinhofbergs; das war die Burkhardsmühle an der Blau. Die Qualität dieses Geldstücks war allerdings so liederlich, dass der Reichsfiskal, der Missbräuche gegen das Münzregal zu verfolgen hatte, beim Reichskammergericht in Speyer 1621 den Prozess gegen Ulm eröffnete.

Damals – der Dreißigjährige Krieg war mittlerweile ausgebrochen – begann die „Kipper- und Wipperzeit“ (1622/23), in der das schlechte Geld Hochkonjunktur hatte. Ulm stellte schon seit 1620 massenhaft Stadtmünzen aus „Billon“ her, einem stark kupferhaltigen Silber. Diese Massenproduktion macht eine zweite Münzstätte erforderlich, die im Haus eines Färbers untergebracht wurde. Diese Prägestätte war nur kurz in Betrieb, denn ein vom Schwäbischen Kreis erlassenes Verbot legte 1624 auch die Ulmer Münzbetriebe lahm.

Trotz dieser nur vierjährigen Nutzung als Geldfabrik hat das Haus in der Schwörhausgasse 4 bis heute die Bezeichnung „Ulmer Münz“ behalten.

Dass in dieser Zeit nicht alles ganz astrein zugegangen ist, erklärten die Ulmer mit einem Spuk, der sich dort Ende des 17. Jahrhunderts zugetragen haben soll.

Einem Schleifmüller, der in der ehemaligen Münze seine Werkstatt eröffnet hatte, seien nacheinander mehrere Schleifsteine zersprungen, und im Gebäude sei ein Gespenst umgegangen, so berichtet ein Chronist. Der Rat habe dann nachgraben lassen, und tatsächlich sei am 15. Mai 1695 in der Münz ein Schatz geborgen worden, welcher in unterschiedlichen groß und kleinen Klumpen Silber bestanden, und bei 600 Pfund im Gewicht gehabt. Damit hatte der Spuk ein Ende, und in der Stadt wurde gemutmaßt, dass das erlöste Gespenst zu Lebzeiten ein ungetreuer Münzmeister gewesen war, der dort unterschlagenes Silber versteckt hatte.

Alle diese Geschichten beweisen jedoch eines: Das Ulmer Geld im numismatischen Sinne war nicht dazu angetan, die Welt zu regieren, auch wenn es neben den miesen Münzen recht ansehnliche Stücke gegeben hat.

Eine andere Interpretation geht davon aus, dass der Spruch anspielte auf die Tatsache, dass die Ulmer im 15. Jahrhundert ihr Territorium durch laufenden Gebietserwerb ununterbrochen erweiterten, bis es das größte unter den reichsstädtischen war. Oder auf die Tatsache, dass sie mit dem Bau ihres Münsters ihren Reichtum weithin sichtbar zur Schau stellten. Doch auch mit diesen Versuchen lässt sich die Frage nach dem Sinn des Reimes nicht überzeugend erklären.

Wenn es mit dem metallenen Ulmer Geld auch oft nicht so weit her war, so war eine buchstäblich „weiche“ Währung in Wahrheit die harte: der Ulmer Barchent. Dieses Mischgewebe aus Baumwolle und Leinen wurde unter Kontrolle der Ulmer Behörden in solcher Qualität hergestellt, dass das Siegel der Stadt Ulm auf einem Ballen Barchent diesem den Wert baren Geldes verlieh. Als 1548 der Rat auf kaiserlichen Befehl das Vermögen der soeben verbotenen Zünfte einzog, wurde dieses angegeben in Gulden oder in Barchent.
Wenn also in Ulm etwas Weltklasse war, dann der Barchent. Aber hätte der unbekannte Dichter etwa dichten sollen: „Ulmer Barchentballen regieren die Welt?“ Für einen solchen Reim wäre er vermutlich gerädert worden. Also wählte er lieber das Ulmer Geld und brachte damit einen Reim zustande, der so rund und abgegriffen ist wie eine moneta ulmensis aus dem 11. Jahrhundert.